Was macht die Kunst? Diese Frage ist in der Lock-down-Phase der Coronakrise oft gestellt worden. Kinos, Theater, Veranstaltungshäuser, Museen und Galerien, sonst beliebte Räume kultureller und sozialer Begegnungen, mussten schließen, gerade weil die sozialen Kontakte auf ein Minimum reduziert werden sollten. Das wirkte sich auf die kulturellen Kontakte zwangsläufig aus. Auch das Brandenburger Landesmuseum für moderne Kunst (BLMK) an seinen Standorten in Cottbus und Frankfurt (Oder) war von der Zwangsschließung betroffen. Wie das Museumsteam damit umgegangen ist und welche Erfahrungen aus der Krise es in die nächste Zukunft mitnimmt, darüber sprachen wir für unseren Vereins-Blog mit Museumsdirektorin Ulrike Kremeier.
Frau Kremeier, wie haben sich die im Frühjahr verhängten Kontaktbeschränkungen für das Museum ausgewirkt?
Das war am 13. März, ausgerechnet noch einem Freitag, als ich einen Anruf aus dem Ministerium bekam, mit der Aufforderung, wir sollten jetzt so schnell wie möglich zusehen, dass die letzten Besucher das Museum verlassen, und es dann schließen. Natürlich hatten wir das erwartet, zuvor war ja auch schon die Schließung der Schulen angekündigt worden. Übers Wochenende hatte ich noch Zeit, darüber nachzudenken, was weiter zu tun wäre. Am Montag haben wir dann als erstes angefangen, die Büroarbeit zu entzerren und diejenigen Kolleginnen ins Homeoffice zu schicken, die vom Alter her zur Risikogruppe gehören oder die Kinder haben. Das geht für ein Museumsteam aber nur in begrenztem Rahmen, denn wir arbeiten ja mit der Kunst und den Räumen, hier im Dieselkraftwerk in Cottbus genauso wie im Packhof und in der Rathaushalle in Frankfurt (Oder).
Aber was tut man, wenn die Kunst vor den Besuchern weggesperrt ist?
Das ist wirklich ein tragischer Zustand. Wir hatten ja gerade erst zwei Wochen vorher zwei für uns wichtige Ausstellungen eröffnet. Wir hatten etwa 500 Bilder in Cottbus und Frankfurt (Oder) an den Wänden hängen. Was für ein Jammer, wenn die nur noch in leere Räume starren! Also haben wir nachgedacht, wie wir unsere virtuellen Realitätsebenen verstärken können. Einige im Team waren da zuerst recht skeptisch, aber dann haben sich drei junge Mitarbeiterinnen, die bei uns das freiwillige soziale Jahr leisten, einfach vornedran gestellt und gesagt: Wir kriegen das hin. Haben sie auch.
Sie sind also mit der Kunst online gegangen…
Ja, aber ich hatte sofort den Impuls: Ich will keinen Ausstellungsrundgang im Internet sehen, der kann das Erlebnis eines Museumsbesuches nicht ersetzen. Denn das Großartige im Realraum ist ja, dass ich meinen eigenen Rhythmus habe und mich auch in der Bewegung auseinandersetze mit der Kunst – ich trete an ein Bild heran, gehe wieder einen Schritt zurück oder mal quer durch den Raum, und das eröffnet mir immer wieder eine neue Sicht. Die Alternative zum virtuellen Rundgang, die wir gefunden haben, waren Bildbesprechungen. Unsere Kuratoren haben sich vor die Kamera gestellt und jeweils ein Bild aus der aktuellen Ausstellung besprochen. Ich hatte den Eindruck, dass ihnen das am Ende richtig Spaß gemacht hat. Auch unsere Museumspädagogen haben tolle, auch interaktive Sachen fürs Internet gemacht, kleine Programme, so in der Art einer Sendung mit der Maus.
Wie ist das Online-Angebot des BLMK angenommen worden?
Die Klickzahlen waren gut. Aber wir müssen davon ausgehen, dass wir mit diesen Angeboten ein völlig anderes Publikum erreicht haben als unser Stammpublikum. Wir wissen, dass ein großer Teil davon, was die sozialen Medien betrifft, eher ein wenig eingeschränkt ist und das Erlebnis eines echten Museumsbesuchs vorzieht. Online ist eine Einbahnstraße, eine Kommunikationsoberfläche, die man einseitig bespielt. Das funktioniert für ein Museum nur, wenn man gar nicht in die Ausstellung kann.
Gibt es dennoch etwas von den virtuellen Formaten des BLMK, das in der digitalen Welt auch nach dem Corona-Shutdown überdauern wird?
Ja sicher. Einige von den Videos sind ja noch jetzt im Netz zu sehen. Wir haben auch vor, die Bildbesprechungen nach der Sommerpause wieder aufzunehmen. Und es wird auch weiterhin Online-Angebote der Museumspädagogen geben. Zwangsläufig, denn die Schulklassen, die mit 6500 Kindern im Jahr an allen drei Standorten des BLMK einen großen Teil unseres Publikums ausmachen, fallen mindestens bis zum Ende des Jahres weg.
Seit dem 1. Mai hat das BLMK als eines der ersten Museen in Brandenburg wieder geöffnet. Ist damit wieder Normalität eingekehrt?
Nein, das kann man nicht sagen. Wir haben wie alle anderen auch Auflagen einzuhalten: die Abstandspflicht ist einzuhalten und eine maximale Besucheranzahl pro Raum, alle zwei Stunden sind sämtliche Oberflächen wie Türklinken und Handläufe zu desinfizieren, die Sanitärräume sowieso. Aber wir wollen das so umsetzen, dass die Besucher so wenig wie möglich davon bemerken. Deshalb haben wir uns auch gegen eine Maskenpflicht entschieden. Museumsbesucher sind zivilisiert, die wissen, worauf es ankommt, und halten sich an die Regeln.
Aber das Abstandhalten zum Beispiel, das kann man auch in eine sinnliche Erfahrung umwandeln. Wie fühlt sich Einmeterfünfzig eigentlich an? Wir wissen, dass der Abstand zwischen dem Betrachter und einem Kunstwerk in der Regel 80 bis 1,20 Meter ist. Also haben wir den vorgegebenen Corona-Mindest-Abstand von 1,50 Meter in den Ausstellungsräumen farbig markiert. Das signalisiert: Das wäre jetzt deine Distanz zu anderen Menschen. Nutze die Chance und verliere die Distanz zur Kunst! Wer möchte, kann sich auch an der Kasse ein Maßband oder eine 1,50-Meter-Stange ausleihen und sich auf genau abgemessenem Abstand durch das Museum bewegen.
Man könnte sich vorstellen, dass die Menschen, durch Corona verunsichert, immer noch eine gewisse Scheu haben, sich an öffentlichen Orten wie einem Museum zu treffen. Stellen Sie das an der Besucherzahl fest?
Überhaupt nicht. Wir haben von der ersten Woche der Wiedereröffnung an ein starkes Besucheraufkommen gehabt, darunter interessanterweise auch viele Berliner. Die meiden jetzt eher die Museen in ihrer eigenen Stadt, weil da meist Maskenpflicht herrscht, und wer das einmal zwei Stunden mitgemacht hat, weiß, dass das kein Spaß ist. Außerdem müssen Sie sich in vielen Museen in Berlin einen Slot, also einen Termin für den Besuch reservieren. Das mögen Museumsbesucher nicht unbedingt. Sie wollen sich nicht festlegen müssen auf eine Zeit und einen Zeitraum. Zu uns kann während der Öffnungszeiten immer noch kommen, wer mag, ohne sich vorher anzumelden.
Hat Corona auch Einfluss auf Ihr Ausstellungskonzept?
Natürlich kann man an einem Thema, das in alle Lebensbereiche eingreift und so viele Menschen bewegt, nicht vorbei. Aber wir wollten nicht über Corona reden, sondern darüber, was es bedeutet. Das Händeschütteln zum Beispiel ist für mich ein wichtiges Ritual. Das habe ich schon als Kind gelernt, und jetzt fällt es mir schwer, darauf zu verzichten. Was früher eine Frage der Höflichkeit war, die Hand auszustrecken, das gilt auf einmal als unhöflich. Auch die Maskenpflicht ist etwas, womit wir umzugehen lernen müssen. Wir haben uns gefragt, wie man diese Veränderungen in der Gesellschaft durch Kunst sichtbar machen kann und nach Bildern in unserer Sammlung gesucht, die das symbolhaft können – Bilder von Masken, vom Handschlag, von Handschuhen. So haben wir drei kleine Ausstellungen zusammengestellt, eine Trilogie unter dem Titel „Verbindlich?!“, die sich mit traditionellen Gesten und Ritualen des zwischenmenschlichen Miteinanders auseinandersetzt. Und diese Ausstellungen wandern nun von Standort zu Standort. Wir versuchen damit natürlich auch Reflektionen zu einer neuen Normalität beizusteuern.
Die ersten reguläre Ausstellungseröffnungen nach Corona fanden Ende Juni ohne Vernissage statt. Ist das ein Verlust, an den wir uns gewöhnen müssen?
Im Augenblick ist es mit größeren Veranstaltungen in geschlossenen Räumen noch schwierig. Aber wir werden Wege zurück zu den bekannten Formaten finden. Vielleicht werden wir die Vernissagen dann ins Foyer verlegen. Dort kann man das Publikum besser verteilen. Es wird auch wieder Ausstellungsführungen geben. Jetzt haben wir ja schon mit „Auf Abstand ganz nah“ das Angebot für Zwei-Personen-Führungen, das man buchen kann, und wir werden bald auch Führungen für acht bis zehn Personen anbieten. Aber wir müssen uns dahin langsam vortasten und feststellen, was geht.
Eine Erleichterung wird es jedenfalls sein, dass wir für das Museum ein Hörsystem für Ausstellungsführungen erwerben werden. Dann können alle Teilnehmer einer Führung mit einem individuellen Kopfhörer ausgestattet werden, der Führende hat ein Mikrofon, und so können ihn alle verstehen, ohne dicht beisammenstehen zu müssen. Abgesehen von der notwendigen Distanzwahrung, erleichtert diese Technik auch allgemein die Führungen in unseren halligen Räumen.